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Tierhaltereigenschaft und Tierhalterhaftung beim Pferd: Wer haftet nach § 833 BGB – auch ohne Eigentum?

  • annabrixel
  • 27. Nov.
  • 4 Min. Lesezeit

Wer ein Pferd hält, trägt Verantwortung – und zwar oft weit über das hinaus, was viele Stallbetreiber, Reitbeteiligungen oder „Halter auf Zeit“ erwarten. Die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB ist eine Gefährdungshaftung: Es kommt nicht auf ein Verschulden an, sondern darauf, ob sich die typische Tiergefahr verwirklicht hat.


Ein besonders instruktives Urteil hierzu ist die Entscheidung des OLG Köln. Sie beantwortet zentrale Fragen:


Wer ist Tierhalter?

Wann ist ein Pferd Nutztier im Sinne des § 833 Satz 2 BGB?

Was gilt bei mehreren Pferden? Und wann scheitert ein stillschweigender Haftungsausschluss?


Als Rechtsanwältin im Pferderecht in Augsburg mit bundesweiter Vertretung zeige ich die wichtigsten Leitlinien – und was das für die Praxis bedeutet.


Inhaltsverzeichnis


  1. Wer ist Tierhalter bei einem Pferd?

  2. Wann haftet der Tierhalter? Typische Tiergefahr genügt

  3. Nutztier oder Luxustier? Warum § 833 Satz 2 beim Reitpferd oft nicht hilft

  4. Zwei Pferde, ein Unfall: Mitverursachung und § 254 BGB

  5. Haftungsausschluss und „Handeln auf eigene Gefahr“: selten erfolgreich

  6. Was bedeutet das für Pferdehalter, Stallbetreiber und Reitbeteiligungen?



1. Wer ist Tierhalter bei einem Pferd?


Der Tierhalter ist nicht zwingend der Eigentümer. Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung: Tierhalter ist, wem die Bestimmungsmacht über das Pferd zusteht und wer aus eigenem Interesse die Kosten trägt, den Nutzen und Wert des Pferdes für sich beansprucht und das Risiko des Verlusts trägt.

Wichtig: Eigentum ist nur ein Indiz. Ein Mensch kann Tierhalter sein, obwohl ihm kein Recht zum Besitz zusteht – also selbst bei unredlichem Besitzerwerb oder ungeklärten Eigentumsverhältnissen. Das ist praktisch relevant, wenn Pferde „übernommen“, „mitgebracht“ oder „eingestellt“ werden und faktisch jemand anderes die Kontrolle ausübt.

Typische Konstellationen, in denen die Tierhaltereigenschaft schnell bejaht wird:


  • Stall-/Hofbetreiber übernimmt ein Pferd dauerhaft und entscheidet über Nutzung und Umgang

  • Familienkonstellationen (Eltern finanzieren, Kind reitet)

  • faktische Übernahme nach Zahlungsverzug/Einstellungsproblemen

  • „Halten im eigenen Interesse“ (geplante Nutzung, Umwidmung, Ausbildung, Weiterverkauf)


2. Wann haftet der Tierhalter? Typische Tiergefahr genügt


Bei § 833 Satz 1 BGB haftet der Tierhalter, wenn durch ein Tier ein Mensch verletzt oder eine Sache beschädigt wird und sich dabei eine typische Tiergefahr verwirklicht.

Bei Pferden sind typische Tiergefahren u.a.:

  • Scheuen, Ausschlagen, Durchgehen

  • Fluchtreaktionen bei Schreckreizen (Jogger, Fahrrad, Hund)

  • unberechenbare Bewegungen (Drehen, Losreißen, Rempeln)

Im entschiedenen Fall scheute Pferd M wegen eines kreuzenden Joggers und rannte zurück. Es stieß Pferd N um, das daraufhin auf die Klägerin fiel. Das Gericht wertete das als klassische Verwirklichung der Tiergefahr: Schreckreaktion – Flucht – Kollision – Verletzung.


3. Nutztier oder Luxustier? Warum § 833 Satz 2 BGB beim Reitpferd oft nicht hilft


§ 833 Satz 2 BGB enthält eine Haftungsprivilegierung für Nutztiere: Wenn das Tier dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, kann sich der Halter unter bestimmten Voraussetzungen entlasten.

Bei Pferden ist das in der Praxis die große Streitfrage, weil Pferde „doppelfunktional“ sein können: Freizeit und Erwerb liegen oft nah beieinander (Reitstunden, Beritt, Kutschfahrten, Holzrücken).

Die Gerichte stellen darauf ab, welche Zweckbestimmung objektiv überwiegt: Entscheidend ist die hauptsächliche Widmung. Im entschiedenen Fall reichte es nicht aus, dass das Pferd den Kindern als Reitpferd zur Verfügung gestellt wurde und diese „gegen geringes Entgelt“ Reitstunden geben wollten. Das wurde als private Nutzung bewertet – also kein Nutztier im Sinne des § 833 Satz 2 BGB.

Praxis-Tipp: Wer sich auf die Nutztierprivilegierung berufen will, braucht eine klare betriebliche Einbindung, tatsächliche Nutzung und nachvollziehbares wirtschaftliches Konzept. Reine Absichtserklärungen („soll später mal“) sind riskant.


4. Zwei Pferde, ein Unfall: Mitverursachung und § 254 BGB


Gerade im Stallalltag passiert es häufig: Ein Pferd erschrickt, ein anderes reagiert ebenfalls, und am Ende ist nicht nur ein Tier „schuld“.

Im Fall des OLG Köln wurde die Tiergefahr des zweiten Pferdes N mitberücksichtigt. N hatte sich quer zum Weg gestellt und wurde dadurch zum Hindernis für das fliehende Pferd M. Das Gericht rechnete der Geschädigten als Mithalterin von N einen Mitverursachungsanteil von 25 % zu (§ 254 BGB).

Zentrale Praxisfolge:Wenn die geschädigte Person selbst (Mit-)Halter eines beteiligten Pferdes ist, kann die Tiergefahr dieses Pferdes anspruchsmindernd wirken – selbst ohne klassisches „Mitverschulden“.


5. Haftungsausschluss und „Handeln auf eigene Gefahr“: selten erfolgreich!


Viele Stallbetreiber verlassen sich auf Sätze wie „Reiten auf eigene Gefahr“ oder auf eine informelle Erwartung, man werde schon nicht haften. Das ist gefährlich.

Ein stillschweigender Haftungsausschluss wird von der Rechtsprechung nur in engen Ausnahmefällen angenommen. Ebenso die Haftungsfreistellung wegen „Handeln auf eigene Gefahr“ – etwa wenn sich jemand bewusst einer besonderen, über das Übliche hinausgehenden Gefahr aussetzt.

Im besprochenen Fall wurde beides verneint.

Praxis-Tipp: Wer Haftung begrenzen will, braucht klare, wirksame Vertragsgestaltung (Einstellvertrag, Reitbeteiligung, Nutzungsüberlassung, Haftungsregelungen) und eine passende Versicherungslösung.


6. Was bedeutet das für Pferdehalter, Stallbetreiber und Reitbeteiligungen?


Kurz gesagt: Haftungsrisiken entstehen schneller als gedacht – besonders wenn Eigentum, Besitz und tatsächliche Kontrolle auseinanderfallen.


Checkliste für die Praxis:


  • Wer hat die Bestimmungsmacht über das Pferd?

  • Wer trägt laufende Kosten?

  • Wer nutzt das Pferd hauptsächlich (privat/geschäftlich)?

  • Gibt es klare Verträge (Einsteller, RB, Beritt, Unterricht)?

  • Besteht eine passende Pferdehalterhaftpflicht – und passt sie zum tatsächlichen Risiko?

  • Wie werden Ausritte/Unterricht/Übergaben organisatorisch abgesichert?



7. Beratung im Pferderecht (Augsburg & bundesweit)


Ich berate und vertrete als Rechtsanwältin im Pferderecht in Augsburg bundesweit, insbesondere zu:


  • Tierhalterhaftung und Pferdeunfällen (§ 833 BGB)

  • Schmerzensgeld und Schadensersatz nach Reitunfällen

  • Haftungsfragen bei Reitbeteiligung, Unterricht und Stallbetrieb

  • Verträge: Einstellvertrag, Berittvertrag, Kaufvertrag, Haftungsklauseln

  • Versicherungsrechtliche Schnittstellen (Deckung, Obliegenheiten, Regulierung)


Wenn Sie einen Pferdeunfall hatten oder Ihre Verträge/Haftungsstruktur rechtssicher gestalten möchten, melden Sie sich gerne.





 
 
 
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